Alleinarbeit kommt situationsbedingt oder standardmäßig in vielen Betrieben vor und kann unterschiedliche Risiken bergen. Stellen Sie sich beispielsweise einen Baggerfahrer vor, der den ganzen Tag allein einen Autobahnwall modelliert. Was passiert, wenn er plötzlich einen Herzinfarkt erleidet? Oder ein Mitarbeiter, der abends allein eine Maschine abschaltet und keine Rückmeldung mehr gibt ? Erst am nächsten Morgen wird sein Fehlen bemerkt. Solche Szenarien verdeutlichen die potenziellen Gefahren von Alleinarbeit.
Als Fachkräfte für Arbeitssicherheit ist es unsere Aufgabe, dieses Thema umfassend zu beleuchten. In diesem Beitrag klären wir, wie Alleinarbeit definiert wird und welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten. Zudem erläutern wir, wie durch eine systematische Gefährdungsbeurteilung die Gefährdungsstufen bei Alleinarbeit ermittelt und geeignete Schutzmaßnahmen entwickelt werden.
Wie wird Alleinarbeit definiert?
In der DGUV Regel 100-001 „Grundsätze der Prävention“, Abs. 2.7 wird Alleinarbeit folgendermaßen beschrieben:
„Alleinarbeit liegt vor, wenn eine Person allein, außerhalb von Ruf- und Sichtweite zu anderen Personen, Arbeiten ausführt.“ |
Alleinarbeit bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine Person tatsächlich allein auf einem Betriebsgelände, in einem Gebäude oder auf einer Baustelle ist. Sie liegt bereits dann vor, wenn eine Person während ihrer Tätigkeit einen Arbeitsunfall erleidet, um Hilfe ruft, aber weder gehört noch gesehen wird.
Die DGUV Regeln konkretisieren und erläutern die Unfallverhütungsvorschriften der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). In diesem Fall ist es die DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“.
Gefährliche Arbeiten nach DGUV Vorschrift 1
In der DGUV Vorschrift 1 ist u. a. festgelegt, wie bei gefährlichen Arbeiten vorzugehen ist:
- Wenn mehrere Personen gemeinsam eine gefährliche Arbeit ausführen und dabei eine gegenseitige Abstimmung notwendig ist, muss der Arbeitgeber sicherstellen, dass eine zuverlässige und mit der Arbeit vertraute Person die Aufsicht übernimmt. (§ 8 Abs.1 DGUV-1).
- Führt eine Person jedoch allein eine gefährliche Arbeit aus, muss der Unternehmer zusätzlich zu den allgemeinen Schutzmaßnahmen passende technische oder organisatorische Maßnahmen zum Schutz der Person treffen. (§ 8 Abs. 2 DGUV-V 1).
Was sind gefährliche Arbeiten nach DGUV V1?
Auch was mit gefährlicher Arbeit eigentlich gemeint ist, ist in der DGUV Vorschrift 1 angeführt, wie etwa:
- Arbeiten mit Absturzgefahr
- Arbeiten in Silos, Behältern oder engen Räumen
- Schweißen in engen Räumen
- Feuerarbeiten in brand- oder explosionsgefährdeten Bereichen oder an geschlossenen Hohlkörpern
- Umgang mit besonders gefährlichen Stoffen, z. B. in chemischen, physikalischen oder medizinischen Laboratorien
- Vortriebsarbeiten im Tunnelbau
- Arbeiten mit biologischen Arbeitsstoffen der Risikostufe IV
- Hebezeugarbeiten bei fehlender Sicht des Kranführers auf die Last
- Dienstleistung an Personen, die sich gegen die Dienstleistung tätlich wehren
Was erläutert die DGUV Regel 100 001 noch?
Die DGUV-R 100-001 führt gefährliche Arbeiten weiter aus:
„Gefährliche Arbeiten sind solche, bei denen eine erhöhte Gefährdung aus dem Arbeitsverfahren, der Art der Tätigkeit, den verwendeten Stoffen oder aus der Umgebung gegeben ist, weil keine ausreichenden Schutzmaßnahmen durchgeführt werden können“ (Quelle: Abschn. 2.7.1 DGUV-R 100-001). |
Grundsätzlich sollte eine „gefährliche Arbeit“ nicht von einer Person allein ausgeführt werden. Ausnahmsweise kann es aus betrieblichen Gegebenheiten notwendig sein, eine Person allein mit einer „gefährlichen Arbeit“ zu beauftragen. In diesem Fall hat der Unternehmer in Abhängigkeit von der Gefährdung an Einzelarbeitsplätzen geeignete Maßnahmen zur Überwachung zu treffen.
Weitere Rechtsgrundlagen bei Alleinarbeit
Nach dem Arbeitsschutzgesetz ist der Arbeitgeber verpflichtet, die mit Alleinarbeit verbundenen Gefährdungen zu ermitteln und die spezifischen Arbeitsbedingungen zu bewerten (§ 5 ArbSchG „Beurteilung der Arbeitsbedingungen“).
Diese Gefährdungsbeurteilung umfasst die systematische Identifikation aller relevanten Risiken, die mit den Tätigkeiten an Einzelarbeitsplätzen verbunden sind. Auf Grundlage dieser Bewertung müssen geeignete Schutzmaßnahmen abgeleitet und gemäß § 6 ArbSchG (Dokumentation) dokumentiert werden.
Die Gefährdungsbeurteilung Alleinarbeit
Wie alle Beurteilungen setzt sich auch die Gefährdungsbeurteilung Alleinarbeit aus zwei Schritten zusammen: Der Ermittlung der Gefährdungsfaktoren und der anschließenden Risikobeurteilung. Dabei werden Aspekte wie die Einrichtung des Arbeitsplatzes, die Arbeitsmittel, die Arbeitsabläufe sowie physische und psychische Belastungen (psychische Gefährdungsbeurteilung) berücksichtigt. Ziel ist es, Risiken frühzeitig zu erkennen und durch technische oder organisatorische Maßnahmen zu minimieren, um die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei Alleinarbeit zu gewährleisten.
Solange eine Tätigkeit, die allein ausgeführt wird, nicht gefährlich ist (z. B. Nachtportier im Hotel) handelt es sich nicht um Alleinarbeit. In diesem Fall gibt es auch keine Beschränkungen. Wie gefährlich eine Arbeit ist, wird in der Gefährdungsbeurteilung Alleinarbeit festgestellt. Dabei wird folgendermaßen vorgegangen:
1. Ermittlung der Gefährdungsstufen (GZ)
Um Gefährdungsfaktoren bewerten zu können (z. B. große Hitze, ungeschützt bewegte Maschinenteile) gibt es 3 Gefährdungsstufen:
- Geringe Gefährdungsstufe (Person ist im Notfall handlungsfähig)
- Erhöhte Gefährdungsstufe (Person ist eingeschränkt handlungsfähig)
- Kritische Gefährdungsstufe (Person ist handlungsunfähig)
2. Wahrscheinlichkeit eines Notfalls (NW)
Hier werden Ziffern 1 (geringe Notfallwahrscheinlichkeit) bis 10 (sehr hohe Notfallwahrscheinlichkeit) vergeben.
3. Erstversorgung (EV)
Hier wird die Zeit bewertet, bis wann eine Erstversorgung garantiert werden wann. Zur Bewertung stehen die Ziffern 1 bis 3 zur Verfügung:
- Erstversorgung ist unter 5 Minuten möglich
- Erstversorgung ist innerhalb von 5 – 10 Minuten möglich
- Erstversorgung kann erst nach mehr als 10 Minuten geleistet werden.
Danach werden die drei Werte GZ, NW und EV mit einer Formel in Beziehung gesetzt, um einen Risiko-Endwert (R) zu errechnen:
R = (GZ + EV) x NW |
Ist der Endwert R nicht größer als 30 besteht ein akzeptables Risiko. Liegt der Wert R über 30 besteht ein großes Risiko und es müssen technische und organische Maßnahmen zur Risikominimierung getroffen werden.
Wann ist Alleinarbeit verboten?
Sind technische Maßnahmen und organisatorische Maßnahmen (z. B. Kontrollgänge durch eine 2. Person, Kameraüberwachung, funk- oder telefongestütztes Meldesystem) bei einem Risiko-Wert über 30 aus welchen Gründen auch immer nicht möglich, ist Alleinarbeit definitiv unzulässig.
Darunter fallen Tätigkeiten mit einer erhöhten Unfallgefahr, wie Arbeiten in engen Räumen, Silos oder mit Sprengstoffen. Diese dürfen nicht allein ausgeführt werden. Ebenso ist Alleinarbeit bei Absturzgefahr oder bei Arbeiten mit Brand- oder Explosionsrisiken verboten.
Zusätzlich dürfen bestimmte Personengruppen, wie Jugendliche, Schwangere oder Beschäftigte mit gesundheitlichen Einschränkungen, keine Alleinarbeit verrichten.
Technische Schutzmaßnahmen bei Alleinarbeit nach DGUV Regel 112-139
Diese Regel erläutert neben der bereits erwähnten DGUV Vorschrift 1 weiters den § 10 des Arbeitsschutzgesetzes sowie den § 4 Abs. 5 der Arbeitsstättenverordnung.
Zu den technischen Maßnahmen gehört laut der DGUV Regel 112-139 beispielsweise die Verwendung geeigneter Personen-Notsignal-Anlagen. Dabei handelt es sich um Einrichtungen, die im Notfall Alarmsignale übermitteln. Der Alarm kann entweder von der Person selbst ausgelöst werden oder wird mittels Sensoren selbst aktiviert und die Empfangszentrale wird alarmiert.
Auch moderne Alleinarbeiter Apps fürs Smartphone, die mit der DGUV Regel 112-139 konform gehen, können hier genutzt werden. Als digitale Personen-Notsignal-Anlagen bieten sie eine hilfreiche Lösung in kritischen Alleinarbeitssituationen. Die digitalen Notfallsysteme bieten u. a. genaue und schnelle Alarmierungs- und Ortungsfunktionen, um die Rettungskette zur Erstversorgung in schnell und zuverlässig Gang zu setzen.
Fazit: Alleinarbeit im Arbeitsschutz
Als langjährige Sicherheitskräfte wissen wir, wie schnell ein Arbeitsunfall passieren kann. Bei gefährlicher Alleinarbeit können die Folgen umso schlimmer sein. Ein Grund, warum Sie beim Erstellen der Gefährdungsbeurteilung Alleinarbeit besonders gewissenhaft und ausführlich vorgehen sollten. Am besten im Team mit einem Betriebsarzt oder Arbeitsmediziner sowie einer erfahrenen Fachkraft für Arbeitssicherheit.
Nachlässigkeiten bei der Gefährdungsbeurteilung oder anderen Aspekten der Alleinarbeit können nicht nur schwere Arbeitsunfälle zur Folge haben, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen für Sie als Unternehmer nach dem Strafgesetzbuch nach sich ziehen.
Wenn Sie bei dieser herausfordernden Aufgabe Unterstützung brauchen: Wir bieten unsere Dienstleistungen rund um einen rechtssicheren Arbeitsschutz für Unternehmen aller Branchen in ganz Deutschland an.